Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Jahrhundertsommer von Raoul Biltgen

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Jahrhundertsommer von Raoul Biltgen

Der Sommer ist heiß, der Schweiß rinnt in Strömen, ein junger Mann kauft einen Revolver. Um sich das Leben zu nehmen, nachdem ihn die Liebe seines Lebens wortlos verlassen hat. Doch er hält die Waffe noch nicht in Händen, schon sehen wir ihn an der Strandpromenade am Bodensee sitzen, wie er sie zum ersten Mal erblickt. Und einfach nur hin und weg ist.

Raoul Biltgen spinnt in seinem Roman Jahrhundertsommer zwei Geschichten auf einmal, jene der überschwänglichen Gefühle des Verliebtseins auf der einen Seite, und jene der abgrundtiefen Verzweiflung und des Selbsthasses auf der anderen Seite. In schnellem Wechsel erzeugt er hierbei einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann, immer tiefer dringt man mit dem namenlosen Protagonisten in eine Gefühlswelt, aus der er sich vergebens hinauszustrampeln versucht. Doch selbst der Suizid gelingt ihm nicht. Also baut er sich eine kompliziert anmutende Suizidmaschine, die ihm die Verantwortung des Abdrückens abnimmt und zugleich jeden Tag aufs Neue eine Chance zum Überleben gibt.

In einer schnörkellosen, teils drastischen Sprache schildert Biltgen vollkommen kitschfrei eine Liebesgeschichte, die für den mal so glücklich, wie man es sich nur wünschen kann, mal so unglücklich, dass es weh tut, Verliebten die ganze Welt bedeutet. Dabei bleibt die – ebenfalls namenlose – Angebetete, die sein Leben auf den Kopf stellt und ungeahnte Gefühlsausbrüche auszulösen vermag, immer ein Rätsel, für den Leser wie für den Protagonisten ungreifbar, unfassbar, wodurch man nur noch mehr in seine Emotionswelten hineingezogen wird. Jahrhundertsommer erinnert sicher nicht zufällig an den Werther, doch Biltgen bietet einen Ausweg. Ob dieser Ausweg aber zurück ins Leben führt, bleibt offen. Jeder, der geliebt hat, der die große Liebe schon genossen oder unter ihr gelitten hat, wird sich in diesem ungewöhnlichen Roman wiederfinden und sich doch auch noch überraschen lassen können. Nicht alle Fragen werden beantwortet. Nicht alle Fragen sollen beantwortet werden. Happy Ends gibt es auch für literarische Figuren nur im Kino.

Buchtipp: In “Schattenjahre” schildert Autorin Ilona Krömer, was Sie nach dem Suizid ihrer Eltern durchlebt hat