Aus dem Buch “Vom einfachen Leben – Eine Idylle“: "Die PPF"

Aus dem Buch “Vom einfachen Leben – Eine Idylle“: “Die PPF”

Es ist Abend. Meine Hündin Osa liegt schon zum Schlafen bereit auf ihrem Lager. Sie ist satt und sehr müde, denn wir haben heute mit Freunden eine lange Bergwanderung gemacht.

Ab und zu öffnet sie jetzt noch einmal die Augen und schaut, wo ich bleibe. Denn sie wartet auf unser abendliches Ritual. Und das geht so: Ich beuge mich zu ihr nieder oder knie mich zu ihr hin, und sie dreht sich sofort auf die Seite, hebt eine Pfote und legt sie mir, sehr vorsichtig, auf die Schulter. Dann beugt sie den Kopf weit nach hinten und verzieht die Lippen, sodass es aussieht, als würde sie lächeln. Sie will, dass ich sie kraule. Unter der Schnauze, an der Brust, unter den Achseln. Das tue ich auch und lasse dabei in Gedanken den vergangenen Tag noch einmal an mir vorüberziehen.

Obwohl wir beide müde sind, pflegen wir auch heute Abend unser Ritual. Ich kraule meinen Hund, seine Pfote liegt auf meiner Schulter und ich denke so vor mich hin: Es war ein anstrengender, aber auch ein sehr schöner Tag. Geduldig und klaglos wie immer hast du, mein Hund, die Fahrt, die Hitze und den Durst ertragen. Du hattest viel damit zu tun, die Herde beisammenzuhalten, hast immer wieder auf die Letzten gewartet, die Schnellen zurückgetrieben, bist stehen geblieben und hast dich vergewissert, dass auch niemand fehlt. Ein paar der Menschen haben überhaupt nicht verstanden, worum es dir ging.
Und dann diese alte giftige Hündin, der wir begegnet sind, die dich so hässlich angekeift hat. Du bist zwar gutmütig wie ein Schaf und freust dich über jeden Dackel, den du siehst, aber heute hast du kurz und bündig gesagt: »Mit mir nicht!« Und dabei hast du ärgerlich die Lefzen hochgezogen.
Das habe ich noch nie an dir gesehen.

Ach, mein Hund, denke ich so vor mich hin. Wenn ich jemals in meinem Leben einen Verein gründen sollte oder – besser noch – eine Partei, dann wäre es die PPF, die Partei Patenter Frauen. Und deine Mitgliedschaft darin wäre dir sicher.
Denn du besitzt alle Merkmale, die eine patente Frau auszeichnen. Du bist stark und sanft, tüchtig und zuverlässig, aufmerksam und gelassen, liebevoll, humorvoll und klug, verantwortungsbewusst, sehr weiblich, aber keinesfalls unterwürfig, mutig und nicht zuletzt schön …
Genau wie jede patente Frau bist du fähig zu großen Gefühlen, zu großer Liebe. Dabei aber kein dummes Weibchen, das den Kopf verliert, sobald irgendein Männchen des Weges daherkommt. Denn auch in diesem Bereich weißt du, was du willst.
Du lässt dich nicht einfach wählen und fühlst dich dabei auch noch geehrt. Du bist es, die wählt, die weiß, welches Männchen gut für dich ist und für deine zukünftigen Jungen.
Aber du hast keine Kinder, noch nicht. Und wer weiß, ob du je welche haben wirst. Doch das ist nicht ausschlaggebend für eine patente Frau. Es gibt patente Frauen, die Kinder haben, und andere, die keine Kinder haben.

Wenn ich so wie jetzt meine Gedanken schweifen lasse, fallen mir sofort bestimmte Menschenfrauen ein, die unbedingt in die PPF gehören würden.
Da ist zum Beispiel eine Lotte und eine Marianne, eine Hedi und eine Heidi, eine Maria und noch eine Maria, eine Tina, eine Monika, eine Agnes, ein Helenchen, eine Patricia, eine Teresa, eine Martina, eine Recca, eine Barbara und andere mehr. Sie alle kenne ich und auch ein paar noch recht junge Frauen, die die Anlagen dafür haben, einmal patente Frauen zu werden. Sie brauchen nur noch ein bisschen Zeit, um reif zu werden.
Patente Männer gibt es natürlich auch. Aber von ihnen ist jetzt nicht die Rede.

Ich weiß nur, dass meine patenten Frauen nicht die Welt eitler und machtgieriger Männer imitieren würden. Sie würden alles dafür tun, um Blutvergießen auf der Welt zu vermeiden. Gewalt, Kriege, Waffen und Schießerei haben keinen Platz in der Welt der patenten Frauen. Nicht wahr, mein Hund?

Aber bevor ich die PPF gründe, gehe ich erst einmal schlafen. Ich stütze mich fest auf den Hund und versuche, etwas mühsam, wieder auf die Füße zu kommen.

Aus dem Buch “Vom einfachen Leben – Eine Idylle” von Helga Castellanos. Veröffentlicht im Mariposa Verlag, Reihe “Das andere Hundeporträt”, (www.mariposa-verlag.de), 2. Auflage 2014

Zeichnung: Martina Riedner